von
clem
Bei den Recherchen zu einem umfangreicheren Artikel bin ich in einem Mathematikforum auf ein interessantes Rätsel aus dem Strebergarten gestoßen:
Sei W die Menge aller Wörter, die im Duden stehen inklusive dem Zahlwort "15".
Sei S die Menge aller natürlichen Zahlen, die sich mit höchstens 15 Wörtern (aus W) eindeutig verbal beschreiben lassen.
Hilfsaussage: S hat endlich viele Elemente.
Beweis:
W hat mit Sicherheit endlich viele Worte.
Sei m die Anzahl dieser Worte, dann kann man höchstens
verbale Formulierungen aus 15 Worten erhalten (Das ist gewissermaßen "Geordnetes Ziehen mit Zurücklegen" aus der Schulstochastik!).
Dann kann man höchstens
verbale Formulierungen aus höchstens 15 Worten erhalten und diese Zahl ist endlich.
Damit erhält man erst recht endlich viele Beschreibungen von Zahlen, denn die meisten dieser Formulierungen beschreiben keine Zahlen (wie z. B. "Peter hat gleich Feierabend" aus 4 Wörtern) oder sind sogar sinnlos (wie z. B. "Eine Hallo kommst Erfolg diesmal" aus 5 Wörtern)
Also hat S endlich viele Elemente.
Folgerung: Betrachten wir die Menge aller natürlichen Zahlen die nicht in S liegen, sich also nicht durch höchstens 15 Wörter beschreiben lassen. Wenn S endlich ist, gibt es in der beschrieben Gegenmenge eine kleinste Zahl. Nennen wir sie k.
Dann kann man sagen:
k "ist die kleinste Zahl, die sich nicht aus höchstens 15 Wörtern eindeutig charakterisieren lässt".
Damit lässt sich k aber doch so beschreiben und wir haben ein funky Paradoxon.
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Ergänzung:
Wer neu hier ist und es spannend mag, dem sei zuerst die Lektüre der interessanten Kommentare empfohlen, bevor hier der Schleier gelüftet wird.
Ich habe heute die Lösung eines analogen Paradoxons gefunden, mit dem
einzigen Unterschied, dass die Buchstaben gezählt werden.
Das Paradoxon ist die Beschreibung
Die kleinste mit nicht unter hundert Buchstaben beschreibbare Zahl
die selbst weniger als 100 Buchstaben braucht.
Das ist das BERRY-Paradoxon.
Ein neuer Abstraktionsschritt ist der, dass wir die Längengrenze (im Beispiel die 100) noch nicht festmachen, sondern das Problem für verschiedene Maximallängen untersuchen.
Im Falle einer Grenze von 6 Zeichen funktioniert das ganze nämlich z. B.
noch.
Die kleinste mit nicht unter 6 Zeichen beschreibbare Zahl ist 7 ("Sieben"), denn die Zahlen {1,2,3,4,5} sind in in Worten "vierstellig" und die Beschreibung "kleinste mit nicht unter 6 Zeichen beschreibbare Zahl" hat selbst nicht unter 6 Zeichen. Hier funktioniert das ganze also noch widerspruchsfrei.
Es werden drei Funktionen definiert:
Bedeutung(Beschreibung) = Zahl
Länge(Beschreibung) = Zahl
Berry(Zahl) = Zahl
Die Funktion Bedeutung ordnet einer korrekten Beschreibung die beschriebene Zahl zu.
Die Funktion Länge ordnet einer Beschreibung die Zeichenlänge zu.
Die Funktion Berry ordnet einer Zahl n die kleinste Zahl k zu, die nicht mit unter n Zeichen beschreibbar ist, (also gerade die gesuchte "Grenzzahl zur Grenze n")
Zur Veranschaulichung:
Bedeutung("Sieben")=7
Länge("Sieben")=6
Berry(6)=7
Die letzte Aussage spiegelt vorige Betrachtung wieder: Die kleinste nicht mit unter 6 Zeichen beschreibbare Zahl ist 7.
Schauen wir auf die kleinste nicht mit unter 100 Zeichen beschreibbare Zahl. Sie ist in unserer Sprache:
Berry(100)
Es gibt jetzt aber eine Beschreibung für diese Zahl: "Berry(Hundert)" (in Anführungszeichen)
und:
Länge("Berry(Hundert)") = 14
Man könnte meinen, in dieser Gleichung steckt schon der Widerspruch: Die kleinste nicht mit unter 100 Zeichen beschreibbare Zahl lässt sich mit unter 100 Zeichen beschreiben. Wir müssen aber bedenken, dass diese Zahl erst beschreibbar ist, wenn folgendes gilt:
Bedeutung("Berry(Hundert)") = Berry(100) (a)
erst dann ist die Zahl wirklich beschreibbar und das Paradoxon ungelöst.
Mit Gleichung (a) im Hinterkopf untersuchen wir nochmal unser "Funktionensystem":
Aus der Definition von Berry folgt: Es gibt keine Beschreibung s kürzer als n Zeichen, sodass gilt:
Bedeutung(s) = Berry(n)
Damit das nicht gilt, müssen die Ausdrücke entweder ungleich sein, oder es gibt sie garnicht.
Kompakt umformuliert heißt das:
Für beliebige Aussagen s und Zahlen n gilt entweder
Länge(s) >= n ( >= soll größergleich heißen)
oder
Bedeutung(s) <> Berry(n) ( <> soll ungleich heißen)
oder
Bedeutung(s) oder Berry(n) ist nicht definiert.
Schauen wir jetzt wieder auf Gleichung (a), so sehen wir dass für n=100 und s="Berry(Hundert)", wegen
Länge(s) < n
einer der zwei anderen Fälle zutreffen muss, und somit (a) falsch oder sinnlos ist.
Das war eine überarbeitete Fassung dieser Internetseite, über deren Fund ich mir heute fast ein Loch gefreut hab.
Hier noch etwas Senf hinterher:
Das Resultat ist, dass die Beschreibung entweder garkeine Bedeutung hat, oder eine andere Bedeutung als wir meinen, oder die gemeinte Zahl nicht existiert. Immernoch eine dreifache Oder-Ungewissheit, aber in allen drei Fällen ist das Paradoxon gelöst, weil (a) nicht gilt.
Wenn man diese Erklärung durchdenkt und sogar verstanden hat, fragt man sich trotzdem hinterher, wo liegt denn nun das Paradoxon in der verbalen Variante, im Originalproblem gab es doch diese seltsamen Funktionen garnicht? Und genau das ist der Punkt. Der Fehler im Originalproblem liegt in der leichtfertigen Vermischung der Sprachebenen. Das konnte nach der Definition der 3 Hilfsfunktionen nicht passieren, die uns das Denken etwas abgenommen haben. Der Fehler in unserem Denken ist, die Gültigkeit von Gleichung (a) als intuitive Selbstverständlichkeit zu empfinden, die sich genau als falsch herausstellte.
Das BERRY-Paradoxon ist sehr bedeutend für die Theorie der Zufallszahlen, der Kompression und der künstlichen Intelligenz. Gerade letzterer wird dadurch meiner Meinung nach eine gewisse Grenze gesetzt, da das Problem auf gewisser Ebene damit vergleichbar ist, dass ein Programm selbstdefinierte Eigenschaften untersuchen muss.
Darüberhinaus denke ich, dass es kein mengentheoretisches Problem ist. Es stimmt zwar, dass die in der ersten Formulierung benutzten Mengen nicht definiert sind, aber nicht aus dem Grund, dass die Eigenschaft für eine Mengendefinition ungeeignet ist. Vielmehr ist unklar, ob schon die Eigenschaft selbst korrekt gestellt ist, also ob sie eine Eigenschaft im Sinne der Anwendbarkeit auf jede Zahl ist. Eine mit unkorrekten Eigenschaften definierte Menge existiert natürlich auch gemäß der naiven Mengenlehre schon nicht, wie z. B. die Menge aller sympathischen Zahlen oder aller Zahlen die nur ein bisschen größer sind als 42.