Eine philosophische Frage
Es gibt eine StudiVZ-Gruppe mit dem zweideutigem Namen „Der Himmel muss ein bisschen so sein wie Berlin im Frühling“. Der erste Mai ist ein Tag im Frühling und traditionell ein ereignisreicher Tag für Berlin. In Kreuzberg trifft sich die links autonome Szene und wetteifert im Dreikampf Dinge werfen, Barrikaden anzünden und weg rennen mit der örtlichen Polizei in ihrem Dreikampf Leute festnehmen, Barrikaden löschen und Straßen räumen. Diese kollektive Freiluftveranstaltung gewann dieses Jahr die Polizei. Auch die Rechten wollten das Himmlische am Berliner Frühling erleben. Also sind sie mit ihren eigenen Dreikampf dort: antreten, marschieren und Parolen grölen (und nach Hause fahren).
Dabei hat sich nun folgendes abgespielt: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse lies sich auf ein Schauspiel ein dessen öffentliche Wirkung nun für Empörung sorgt. Er beteiligte sich an den Protesten „Berlin gegen Nazis“ durch Sitzblockade auf der Marschroute der rechten Demo. Unter anderem zusammen mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland und dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Pankow, Matthias Köhne (SPD). So musste er letztendlich von den Beamten weggetragen werden, alles unter den hungrigen Augen der Fernsehkameras.
Was nun tun mit einen politischem Würdenträger der sich einen Akt des zivilen Ungehorsam leistet? Man lässt ihn erstmal zu Wort kommen:
Thierse: „Vielleicht erinnern Sie sich: Es gab einen Aufruf, "Nazis blockieren". Ich betone blockieren. Den haben sehr viele unterschrieben, Parteivorstände, der Parteivorsitzende der SPD in Berlin, Michael Müller, der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die jüdische Gemeinde, viele andere, ich auch, und dann kann ich doch nicht nur auf andere zeigen, sondern ich war da und in dem Moment, wo ich da war, wollte ich auch zeigen, dass ich diese Demonstration ablehne.“
Ein Argument das auf die persönliche Integrität, die moralisch Integrität, hinausläuft. Seltene Worte aus dem Munde eines Politikers, schauen wir genauer hin.
Thierse: „ ... ich habe gegen Antidemokraten demonstriert, weil ich mich verpflichtet fühlte, ein Zeichen zu setzen. [..] Ich habe als Bundestagsvizepräsident die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger auch.“
Hier haben wir das Motiv. Ein Zeichen gegen Antidemokraten setzen als staatsbürgerliche Pflicht. Ein liberales und ehrbares Motiv das der alte Mann aufzeigt.
Gegen so viel politische Überzeugungen formiert sich immer Widerspruch. Welche Vorwürfe werden da erhoben? Die meisten drehen sich um den Punkt Rechtsbruch durch einen politischen Würdenträger und damit die Schändung seines Amtes. Die schrillste kommt diesesmal nicht von den Liberalen, die halten sich merkwürdig zurück, sie kommt von der SPD-Abgeordneten Anja Hertel: "Ich habe ein Problem mit Demokraten, die meinen, sich über das Gesetz stellen zu können." Der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Müller (CSU) ist geschickter, aber dennoch plump. Er bedient sich eines rhetorischem Tricks der als Killerphrase an den ersten vier Worten zu erkennen ist: „Grundsätzlich gilt der Satz: Ein Parlamentarier kämpft mit Worten im Parlament und nicht auf der Straße gegen die Polizei.“ Bundesfamilienministerin Kristina „hat noch nie etwas schlaues gesagt“ Schröder macht sich Kraft ihres Amtes Sorgen um die Jugend: „Herr Thierse sollte sich ernsthaft fragen, wem er mit seiner Sitzblockade geschadet hat – den Neonazis oder unserer demokratischen Rechtsordnung. [Sie frage sich,] wie Jugendlichen Demokratie erklärt werden solle, wenn sich selbst ein Bundestagsvizepräsident über das Grundgesetz hinwegsetze.“
Den Preis für die erste Rücktirttsforderung geht an den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Stellt man das Zeichen einer Sitzblockade gegen rechte Aufmärsche dem Zeichen eines Rücktritts wegen einem Protest gegen Rechtsextremismus gegenüber, frage ich mich ob die Empörung gegen Thierse nicht die philosophische Frage überdeckt der sich jeder politische Würdenträger stellen muss, „Hat ein Bundestagsabgeordneter nicht die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie andere auch? (Thierse selbst)“ und muss ein Politiker seine Überzeugungen nicht auch öffentlich leben?
Wenn nun ein Berliner Frühling diese Diskussion belebt dann ist dies wahrlich himmlisch, wie es die StudiVZ-Gruppe postuliert.
Quelle Welt Online
Quelle Focus 1
Quelle Focus 2
Quelle DRadio
Quelle Tagesspiegel