von
georg
Vor genau einer Woche war ich auf einer Demonstration gegen die neue Chemnitzer Polizeiverordnung. Im Prinzip nicht weiter spektakulär, offenbarten sich mir mal wieder eine Reihe von Einblicken, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Zum Inhalt der zu bekämpfenden Verordnung sei nur soviel gesagt, dass diese dem Beispiel Erfurts folgend ein Verbot von Skateboarden an nicht dafür zulässigen Plätzen, dem Trinken alkoholhaltiger Getränke in der Öffentlichkeit, von wiederkehrenden Versammlungen von mehr als zwei Personen mit einem Mindestmaß an Behinderungs- und Beeinträchtigungspotential gegenüber Dritten, von leinenlosen Hundespaziergängen im Stadtgebiet und dem Geld"Schnorren" in der Innenstadt beinhaltet. Bestandteil der Verordnung sind nun keine verschärften Ordnungswidrigkeitsbestimmungen, sondern die Anwendung des Strafrechts bei Überschreiten.
Aufgerufen zur Demonstration hatte wie üblich ein loses Bündnis aus linken Jugendgruppierungen. Der Lautiwagen war bestellt, der Treff um 15.00 am Marxkopf offeriert. Mit etwa 350 Personen, also einer durchaus überschaubaren Anzahl, ging's schließlich durch die halbe Innenstadt, besondere Vorkommnisse gab es wie zu erwarten keine. Die meisten Teilnehmer waren Punks und die üblichen Verdächtigen, also linke Aktivisten, wichtige Personen des alternativen öffentlichen Lebens und eine Handvoll Studenten (die wiederum zur Hälfte den drei erstgenannten Gruppen zuzuordnen sind). Erfreulicherweise gestaltete sich der Kinderanteil als ausgesprochen hoch, der der Hundebesitzer aber leider auch (die auch die einzige Gruppierung waren, in denen "Normalbürger" vorhanden zu sein schienen). Mir stellte sich vor allem die Frage: Wo waren die Skateboarder, wo die Alkis, wo die Schüler, wo die Studenten und vor allem, wo die Hools?
Wie immer konnten die Redebeiträge allenfalls durch ein hohes Maß an Populismus, demagogischer Pädagogik, linken Klischees und offenkundiger nicht gemachter Vorbereitung aufwarten, mit einer Ausnahme gab's weder was Neues noch sonderlich Überzeugendes zu hören. Die verfehlte Jugendpolitik der Stadt wurde berechtig, aber kaum fundiert angegriffen, der Renterstereotyp, maßgeblich beheimatet in Chemnitz, verteufelt und als Grundübel des öffentlichen Lebens ausgemacht, der Polizeistaat theoretisch und am Chemnitzer Beispiel einigermaßen gut nachvollzogen und natürlich der Kapitalismus insgesamt und universell abgewatscht. Die Musik war mäßig, allerdings fand ich's wundertoll, in der Innenstadt, in welcher der Verkehr in Folge der Straßensperrung nahezu zum Erliegen kam und deshalb ein gewisses Publikum sich einfinden konnte, mit übersteuerndem Beasty-Boys-Sound so richtig laut zu sein. Bis auf zwei größere Plakate und die spärlichen Redebeiträge war die Demo aber sicherlich recht schwer zuordbar, weshalb der Assoziationsgrad der Unbeteiligten relativ gering ausgefallen sein dürfte.
Gerade im Hinblick auf den Eingriff in das Versammlungsrecht hoffe ich auf eine erfolgreiche Verfassungsklage, ansonsten wird die Wirkung des Umzuges wohl gegen Null tendieren. Bedenklich finde ich vor allem, dass bettelnde Personen strafrechtlich belangt werden können und der Willkür der Polizei ein weiteres Mal die Türen geöffnet werden.
Als Resümee lässt sich ziehen, zwei Stunden in nasskalter Nullgradkälte, aber mit mich umgebenden netten Personen verbracht zu haben, bis auf zwei Eingriffe der begleitenden Beamten wegen Vermummung kaum Aggressivität gespürt zu haben und mich neben beschriebenen Umständen die ganze Sache wie üblich nicht vom Hocker gerissen hat. Über Sinn und Unsinn lässt sich streiten, ich fand die Demo schwach organisiert und würde mit mindestens der Hälfte der anwesenden Leute vermutlich kein vernünftiges Gespräch zustande bringen. Aber als Form von Interessensvertretungen im Austauschprozess zwischen Öffentlichkeit und Staat war es mir ein willkommenes Mittel, meine Meinung kollektiv und auf einen sehr kleinen gemeinsamen Nenner reduziert kundzutun.