von
clem
Die etablierten sozialen Netzwerke kotzen mich zunehmend an, sodass ich meinem Unmut hier einmal Luft machen möchte.
Um dem Text etwas Struktur zu geben, habe ich meine 5 Problempunkte mit A-E bezeichnet.
A: Niedriger technischer Nutzen
Betrachten wir Facebook. Die Funktionen dieses Dienstes sind im wesentlichen folgende:
1. Kommunikation über Textnachrichten,
2. Kontaktverwaltung,
3. eigene Webpräsenz.
Zunächst mal stellen wir also fest, dass das Internet nicht um etwas fundamental neues bereichert wurde. Vielleicht ist das Raffinierte die Verpackung: Eine Web2.0-Anwendung die dem Benutzer ein soziales Netzwerk simuliert. Die Personen aus dem Leben werden zu Items eines Internetdienstes. Problem: Die Personen aus dem Leben nehmen dies verschieden wahr, verschieden ernst, sind Menschen und teilweise garnicht vertreten. Wie der Mann mit Bart in Michaus Post gesagt hat, geht der Trend in Richtung Partizipation. Die Benutzer müssen an der Stange gehalten werden, ständig irgendetwas zu tun. Allerdings bleibt dieses Tun meist ohne Resultate, denn sie pflegen keine Freundschaften sondern bedienen einen Dienst, d. h. beschäftigen sich selbst auf abstrakte Art.
Betrachtet man die nüchterne Aufzählung der Funktionen 1.-3. so schlussfolgere ich, dass die Personen, die Facebook nutzen, entweder
a) der beschriebenen Illusion unterliegen, oder
b) unsicher im Umgang mit den viel besseren technologischen Alternativen sind (1. Email, 2. Kontaktverwaltung eines Mailprogramms, 3. eigene Internetseite), oder
c) unsicher mit deren Organisation sind (Alles in einem ist „praktischer“), oder
d) Isolation fürchten.
B: Verdrängung dezentraler Alternativen
Punkt d) ist gefährlich und nicht unplausibel. Dienste wie schüler.cc oder schuelervz für Minderjährige sind inzwischen Standard-Kommunikationsplattformen junger Menschen zwischen 13-16, Facebook macht der Emailtechnologie erhebliche Konkurrenz, auch in meinem Freundeskreis gibt es Leute, die deswegen kaum per Email erreichbar sind.
Nochmal im Klartext: Abgesehen davon, dass soziale Netze (A:) in ihrer reinen Funktionalität also recht rückständig sind, liegt ein Kernproblem darin, dass es keine dezentralen Technologien sind (wie Email) sondern ein Dienst. D. h. das ganze Netz hat einen Betreiber der (B:) die Kommunikation auf gewisse Weise monopolisieren möchte. Wenn ich eine Email verschicke, nutze ich auch einen Dienst (z. B. gmx.de) aber ich zwinge niemanden anderen, diesen auch zu benutzen.
Was mich darüberhinaus sehr beschäftigt, sind die datenschutztechnischen Aspekte im Zusammenhang mit sozialen Netzen.
C: Missbrauch nicht personenbezogener Daten durch profiler
Eben dadurch das das entsprechende Netz das ich benutze ein Dienst ist, laufen alle Aktivitäten über die Anwendung (z. B. die Facebook-Seite). Der Betreiber kann meine Aktivitäten registrieren, das ist generell etwas ganz normales, aber im Falle sozialer Netze sollte man dieses Registrieren aufgrund der Intimität der Aktionen eher als Ausspähen bezeichnen.
Wenn wir das Thema Datenschutz und Überwachung anschneiden, laufen wir Gefahr uns in Phrasen oder Verschwörungsparanoia zu verlieren. Da ich es trotzdem nicht auslassen will, möchte ich auf den angenehm lesbaren Artikel „Wie erklär ich's Omi?“ auf den Seiten 08-13 in diesem Heft der Datenschleuder des CCC verweisen. Besonders wichtig ist mir dabei die Gefahr durch profiling (siehe der Unterabschnitt auf Seite 9), also dass auch das Sammeln von Daten „ohne persönlichen Bezug“ in großen Mengen herangezogen wird, um (nicht nur) wirtschaftlich auswertbare Wahrscheinlichkeitsaussagen zu gewinnen. Solche „anonymen“ Daten der Art „Personen die X tun, tun auch Y.“ ermitteln wirtschaftliche Interessengruppen auf dem Sektor des Kaufverhaltens seit Jahren mit irgendwelchen Bonuskarten-Programmen. Auf der Ebene von Facebook & Co. finden wir aber plötzlich immense Quellen für Statistiken mit viel persönlicheren Inhalten. Die Nutzer stimmen dem Verkauf ihrer „anonymen“ Daten zu, die ja sogar bereits digital sind.
D: Missbrauch öffentlicher personenbezogener Daten
In einer Studie wurde 2009 gezeigt, dass Anbieter, die in sozialen Netzen Werbung schalten, die Daten von den dargestellten Profilen abrufen können, teilweise durch Verfolgungsmechanismen, teilweise durch Programmfehler in den sozialen Netzen und teilweise durch direkte Kooperation. Gegenstand waren 12 populäre Netze (u. a. Facebook, Myspace und Twitter).
Manche erinnern sich vielleicht noch an den "Skandal" um den "Datenklau" bei SchülerVZ der darin mündete, dass ein 20jähriger junger Mann sich in Folge eines ungeklärten Erpressungsvorwurfs ihm gegenüber das Leben nahm. Der Täter hat nichts weiter gemacht, als ein Programm geschrieben, dass die SchülerVZ-Seiten automatisch abruft und Informationen speichert. Er ist also nirgends "eingedrungen", sondern hat nur automatisiert erfasst. Er hat das aufgesammelt, was andere im Netz liegen lassen (D). Wahrscheinlich wäre das nichtmal strafrechtlich verfolgt worden.
E: Genereller Datenmissbrauch
Dass aber (E) auch die verborgenen personenbezogenen Daten nicht sicher sind, zeigt der prinzipielle Vorbehalt: Es gibt keinen sicheren Computer und digitale Daten sind praktisch beliebig reproduzierbar. Daraus folgt, dass es das dümmste ist, massenhaft sensible Daten auf einem einzigen Computer zentral und gut sortiert zu speichern. Trotzdem helfen viele fleißig mit. Was erstmal wie das Totschlagargument der Hacker-Ethik klingt, verliert ganz schnell seinen paranoiden Ruch, wenn man sich die realen Vorkommnisse der Vergangenheit ansieht (Beispiele: 1, 2)
Genug geunkt, jetzt interessiert mich Eure Meinung, Ergänzung, Erfahrung, vor allem aber Kritik.