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14.06.2008

Indeterminismus 2: Determinismuskritik für Fußgänger

Der praktische Kritikpunkt a) meines letzten Textes soll hier auf einfache Art praktisch demonstriert werden. Das ganze läuft auf die Frage nach der exakten Messbarkeit einer Größe hinaus. Dazu stelle ich mir die Frage nach der Länge x meines Schreibtisches. Zum messen verwende ich eine Schmiege, an der ich mit dem Augenmaß auf halbe Millimeter genau ablesen kann. Ich messe eine Tischlänge von

x=129,5 mm.

Jetzt kann ich davon ausgehen, dass ich auf mein Messgerät ein Abbild der Wahrheit projiziert habe und eine völlig wohlbestimmte Tischlänge kenne. Wenn ich nun auf die freche Idee komme, die absolute materielle Wahrheit auf die Probe zu stellen, indem ich nochmal messe, erhalte ich den Wert

x=129,0 mm

Erschüttert stelle ich fest, dass die Wahrheit sich um 0,5 mm verkleinert hat und die Welt einen kleinen Indeterminismus zeigt.

Bevor wir fortfahren eine Zwischenbemerkung: Man könnte einwenden, ich würde absichtlich ungenau gemessen haben, meine Schmiege ist krumm, der Tisch hat sich in der Zwischenzeit wegen einer Temperaturänderung zusammengezogen oder ähnliches. Diese Einwände sind prinzipiell gerechtfertigt, ändern aber nichts am demonstrierten Effekt. Selbst bei gewissenhaftestem Ausschluss aller dieser Störungen bräuchte man nur ein genaueres Messinstrument und man würde wieder Abweichungen beobachten, lediglich ein paar Kommastellen weiter hinten.

Mit einem kleinen Trick kann ich der Wahrheit der Tischlänge nun dennoch indirekt auf die Spur kommen: ich messe einfach sehr oft und kann dann statistische Untersuchungen anstellen. Nach N=10 Messungen erhalte ich die Werte

x/mm = 129,5; 120,9; 129,5; 130,0; 129,5; 130,0; 128,0; 128,5; 129,0; 129,0

und nach weiteren 40 Messungen insgesamt 50 Werte, deren Auflistung ich mir spare. Man sieht die Häufigkeiten verschiedener Messwerte in der folgenden Grafik:



Wie alle zufallsverteilten Prozesse beobachtet man dass Annähern an eine eingezeichnete Gaußverteilung. Würde man diese nochmal durch die Gesamtzahl 10 bzw. 50 teilen, erhielte man eine Wahrscheinlichkeitsverteilung.

Eine Gaußkurve etwas einfacher dargestellt sieht so aus:



sie besitzt ein Maximum a (da ist die Wahrscheinlichkeit am größten, also meine am wahrscheinlichsten wahre Tischlänge) und sie kann verschieden breit sein. Ein Maß für die Breite ist die halbe Breite des Huckels auf seiner halben Höhe. Diesen nennt man Standardabweichung sigma. Die Wahrscheinlichkeit dafür irgendeinen Wert in der Sigma-Umgebung von a zu messen ist genau die graue Fläche unter der Kurve. Sie ist schon so ziemlich der größte Teil, die Wahrscheinlichkeiten der restlichen weißen Flächen sind klein, aber nicht Null. Man kann ausrechnen, dass für unser definiertes sigma diese Wahrscheinlichkeit 92% ist. Nimmt man die doppelte Umgebung, dann ist sie etwa 98%, bei der dreifachen 99% usw.
a repräsentiert also meine mittlere Wahrheit und sigma ein Maß für deren Unkenntnis.

Die werte für meine Messung sind:
N=10: a=129,35 sigma=0,10
N=50: a=128,99 sigma=0,07

Man sieht also, dass die Gaußkurve mit mehr Messungen schmäler wird und die Unbestimmtheit sinkt. Ich kann für N=50 sagen mit 90%iger Wahrscheinlichkeit hat meine Tischlänge den Wert

x=(128,99 +/- 0,07) mm

oder mit 99%iger Wahrscheinlichkeit den Wert

x=(128,99 +/- 0,14) mm

Welche Aussagen kann ich aber bzgl. der Tischlänge treffen, die der Wahrheit gerecht werden? Ich benötige eine 100%ige Sicherheit. Das entspricht der gesamten Fläche der Gausskurve. Auch wenn sie nach außen immer kleiner wird, hat sie einen nicht verschwindenden Wahrscheinlichkeitsbeitrag. Ich kann also nur sagen:

Mit 100%iger Wahrscheinlichkeit hat mein Tisch irgendeine Länge.

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