Shake your Style.

05.09.2008

Die hohe Kunst der tiefen Schläge

Es war nicht allzulange her, da kannte ich die Wendung "etwas verreißen" nur als Beschreibung eigener Fehler. Doch als ein Journalistenfreund meinte, die Zeitung Dingsda habe im Kulturteil das Konzert von Sowieso total verrissen, offenbarte sich mir die enorme Teekesselnatur dieses scheinbar harmlosen Verbs. Man könnte nun noch darauf eingehen, dass das Wort Verriss verwandt ist mit Ferris MC, oder dass der weltoffene Bruder des Verreißens, sich durch die Verwendung des herkömmlichen s statt des ßs auszeichnend wieder ein ganz anderer Schuh ist - Georg und Mattes erleben es gerade am eigenen Leib - aber ich möchte mich dem Verreißen widmen.

Von Anfang an war mir klar, dass es hier nicht darum geht, nur ein paar kritische Anmerkungen auf die feine englische zu machen. Ein Verriss im journalistischen Sinne bedeutet Reviewkloppe und verbale Schmäh. Der zu Unrecht selbst ernannte Künstler muss für jeden unausgereiften Gedanken seines Schandwerkes büßen und wie ein Vieh herumgetrieben und geschlachtet werden. Zweitens ist es sicherlich nicht die anspruchsvollste Art, eine Kritik zu verfassen. Daher möchte ich heute auch einen Verriss produzieren. Dazu in meinem Bücherregal ein Opfer ausfindig zu machen fällt mir nicht schwer. Wenn ich meinen Blick über die Buchrücken gleiten lasse kommt so manche Wut in mir hoch, soll heißen Ungesagtes stößt mich auf, beim Betrachten eines bestimmten Buches. Normalerweise hätte ich es schnell weggelegt. Doch dem Schenker zuliebe habe ich mich immer wieder aufgerafft, mich ein paar Seiten weiter zu quälen. Dadurch ist es zum Verriss geradezu prädestiniert. Nicht nur, dass ich meiner Seele etwas gutes tun kann, auch der Geber kann wissen, dass er mir die Freude des Verreißens geschenkt hat, welche höher als die Lektüre eines guten Buchs sein muss.

Mein erster Verriss: Harro von Senger - Die Kunst der List: Strategeme durchschauen und anwenden, Beck, 2001

Wir alle wissen, wenn ein Buchtitel nur die geringste Lebensweisenaltklugheit ausstrahlt, dann ist Obacht geboten. Tatsächlich lungern unter dem Sachbuchmantel fast 200 Seiten nichtsnütziges Geschwätz. Das Buch ist in 36 Kapitel unterteilt. Ein Zahlengaudi der es bereits unmöglich macht, den Inhalt des Textes einer denkfreundlichen Einteilung zu unterziehen. In den ersten Kapiteln erklärt der Autor zunächst sehr ausgedehnt und tatsächlich nur scheinbar die Unterschiede der Begrifflichkeiten List, Strategie und Strategem. Dann folgen 12 Kapitel, in denen völlig banale Thesen vor dem Leser breitgetreten werden, beispielsweise:

  • Auch in wohlhabenden Kreisen fallen Menschen der List zum Opfer
  • Es ist besser eine systematische Darstellung aller Strategeme anzustreben, anstatt einfach nur eine ungeordnete Aufzählung von Listen zu haben
  • Überall auf der Welt werden Listen angewendet
  • Wer die Kunst der List beherrscht, wird sich im Leben gut zurechtfinden
Außerdem schimpft der Autor ständig auf die „westliche Strategemblindheit“ und die abendländische Naivität, nach welcher die List etwas unaufrichtiges darstellt. Immer und immer wieder heißt es, der Westen solle sich mal lieber vorsehen und mit höchster Ehrfurcht die 36 chinesischen Strategeme studieren. Und jedes mal muss der Leser (als Vertreter des „Westens“) denken: Das versuche ich ja die ganze Zeit, aber du rückst nicht mit der Sprache heraus. Wenn man das Wort Listenliste nicht mehr lesen kann und den Eindruck bekommt, dieses Buch werde niemals zum eigentlichen Thema vorstoßen, wird eine völlig unübersichtliche Liste der 36 Strategeme präsentiert. An dieser Stelle habe ich beschlossen, meinen Lesegenuss vorzeitig abzubrechen. Anhand der Überschriften der folgenden Kapitel und dem gewonnenen Eindruck des Autors konnte ich bereits grob überschlagen, dass das Folgende keine feine Analyse des Strategemsystems wird, sondern nur eine unzusammenhängende Aufreihung von Beispielen und Schöpfung weiterer Synonyme, welche alles noch unübersichtlicher machen und eine scheinbare Komplexität schaffen. Ich schlug das Werk der Niedertracht zu und sehe, wie auf der Rückseite hoch getönt wird „Harro von Singer ist der führende westliche Forscher auf dem Feld der Strategemkunde“ - dann muss er auch der einzige sein.

1 Kommentar:

georg hat gesagt…

Immerhin bist du weit gekommen. Mein letzter Kontakt mit Dan Brown endete auf Seite 80 ("Diabolus") und für die ebenfalls mir geschenkte Einsteinbiografie von Jürgen Neffe sehe ich keinerlei Chancen auf Lesebereitschaft meinerseits. Ist ja alles nett gemeint, aber schlechte Bücher gibt es viele und Verrisse bekommen nur die wenigsten.