Erfahrungsbericht
Ich wollte hier und heute mal etwas aus meinem letzten Praktikum veröffentlichen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dies hier her gehört, aber es beschäftigt mich jetzt schon einige Zeit.
Ich famuliere (unbezahltes 8-10 h/ tägl. Praktikum für angehende Mediziner) gerade und habe einen Teil meiner Praktika-Zeit in der chirurgischen Notaufnahme zugebracht. In den 2 1/2 Wochen, die ich dort war, habe ich etwa 6/7 Menschen gesehen, die versucht haben sich das Leben zunehmen. Schon alleine diese Zahl finde ich bedrohlich. Mit einer dieser Patienten bin ich ins Gespräch gekommen. Sie war eine Frau in den 50igern, lange Berufsjahre als Diplomierte in der Forschung tätiggewesen und vor 1 Jahr auf grund eines Wechsels in der Chefetage plötzlich gekündigt. Zur gleichen Zeit wurde ihre Ehe aufgelöst.
Diese Frau lag völlig aufgelöst vor mir, weinte und erzählte mir ihre Geschichte. Dass sich ihr ganzes bisheriges Leben innerhalb kürzester Zeit in Luft aufgelöst hat und sie wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist und einfach keinen Ausweg mehr gesehen hat, außer zu versuchen sich umzubringen. Jetzt muss sie unglaubliche Schmerzen aushalten (auf grund schwerer Verletzungen), ihr Kind ist zornig auf sie und wirft ihr vor, sie hätte nur an sich gedacht. Und sie meinte, sie als Christin hätte wissen müssen, dass man nicht selbst entscheidet, wann man geht! Schon im nächsten Moment meinte sie, sie denkt immer über Möglichkeiten nach, wie sie es trotzdem schaft endlich zu sterben. Wieso verliert man so das Interesse am Leben? ... und vor allem, den eigenen Sinn daran.
Ich konnte ihre Verzweiflung irgendwie nachvollziehen, da ich ehrlich gesagt nicht weiß, wie ich in Ihrer Situation reagieren würde. Ich denke die Hoffnungslosigkeit nimmt ganz schön schnell Besitz von einem ein und wenn man nicht aufpasst, siecht man nur noch vor sich hin, fühlt sich leer und wird zum Getriebenen der eigenen Ängste. Dazu gibt es auch ein paar gute Stellen in Ändy' s letztem Text... !
Quintessenz ist, dass einem (mir!) wahrscheinlich der nötige Abstand zu sich selbst fehlt.
Definiert man sich zu viel durch die Wahrnehmung der Anderen? Ohne Rückmeldung geht es nicht, da man immer an der Interaktion mit andern wächst und Fehler nur erkennt, wenn man Reaktionen und Rat anderer annehmen kann. Aber letztendlich ist man eine eigenständige Person und irgendwie immer auch getrennt von den anderen! Und mit diesem Getrennt sein muss man irgendwie klar kommen. Mit sich selbst allein sein zu können, ohne sich einsam zu fühlen, egozentrisch zu sein oder zum Misanthrop zu werden, ist eine echte Kunst.
Was mir bei der Begegnung mit dieser Frau auch klar geworden ist: es ist gefährlich, wenn man seine Selbstbestätigiung und seinen Lebenssinn nur in der Arbeit findet.
Ich erkenne es grade auch an mir selbst, wenn ich 8/9 h auf Arbeit war, bin ich nachher zu nicht mehr allzuviel zugebrauchen. Meine Arbeit macht mir Spass, ich komme mit Menschen zusammen, bin gefördert und gefordert und gehe echt darin auf. Aber ich möchte nicht, dass das alles ist in meinem Leben!
Es gibt so viele, die nur für ihren Beruf leben.
Was tut man dann, wenn man nicht mehr; oder nicht mehr im selben Maße arbeiten kann (aus welchem Grund auch immer)? Wie hält man sich selbst aus- zwischen allen möglichen Ansprüchen von außen und den eigenen? Wie kann man vernünftig lernen mit den eigenen Ängsten klar zu kommen- sie nicht zu verleugnen und nicht zu groß werden zu lassen?
Kann auch sein, dass ich mich grad auf total abwegigen gedanklichen Pfaden befinde- aber irgendwie lässt mich dieses Bild und der Gedanke, ob auch ich das seien könnte, nicht los! Ich hoffe deshalb auf eure Gedanken hierzu!
Was ich noch sagen muss ist, dass ich froh bin euch getroffen zu haben, da ich das Gefühl habe, dass dies meinem Leben eine entscheidende Richtung (zum Guten) gegeben hat! Manchmal denke ich, dass ich nicht einfach so meine Gedanken hier veröffentlichen kann, da sie mir selbst zu banal erscheinen. Aber diese Geschichte musste ich jetzt mal rauslassen, da ich sie schon so lange mit mir herumtrage.
Euch allen einen wunderbaren Sonntag!
3 Kommentare:
ganz wichtig! das war ein unter keinen umständen banaler beitrag und ich find`s toll, dass du ihn veröffentlicht hast. es ist wichtig diese vielen fragen an sich und das leben zu stellen, auch wenn das den meisten menschen nicht gut gelingt, aus schamgefühl und schwäche vielleicht, oder aus angst zu erkennen, das man sich verloren hat und nur noch funktionierendes element ist. wir sollten wohl versuchen uns immer neu kennenzulernen, schaun wie wir ticken und wohin es uns am meisten zieht, egal ob das immer konform zu
festgefahrenen verhaltensweisen ist. nicht die moral vergessen und doch seine grenzen finden. klingt grad wohl alles bissl prophetisch...
warum haben wir angst? und wovor?
danke und viele grüße vom guru mattes.
Hi Christin,
ich bin froh darüber, dass du v.a. den Selbstmord ansprichst. Es gibt wenige Themen im alltäglichen Leben, die sich so Paradox gestalten, wie der Gedanke an Selbstmord. Einerseits gehört er mit zu der zentralen Auseinandersetzung auf dem Weg zur Selbstfindung, andererseits stellt nahezu kein anderes Thema in unserer heutigen Gesellschaft ein derartiges Tabu dar, wie eben das Gespräch über diesen Gedanken.
Meiner Meinung ist der Gedanke daran deshalb so selbstverständlich, weil man beim hinterfragen des Sinnes seiner Existenz nicht drumherum kommt. Keiner vermag zu sagen, ob es ein höhere Bestimmung oder ein Ziel gibt, was es zu erreichen gilt. Der Sinn eines Selbst kann nur über „Seiendes“ definiert werden. Das was man hinterlässt, was man schafft, was man will, wie man ist, oder über Einflüsse der Umwelt. Alles greifbare Tatsachen, die Denkbar sind und deren Nichtexistenz ebenfalls vorstellbar ist. Was dann beim „Wegdenken“ bleibt, ist ein Leben ohne Sinn, was in besonders schweren Situationen zu der Frage führt „Was soll ich eigentlich hier?“, oder „Lohnt es sich denn überhaupt dieses Leid auf sich zu nehmen?“ Wo das Wegdenken noch einen Zweck erfüllt, und zwar denn sich einen besonders großen „Lebenssinn-Vorrat“ anzueigenen, damit man eben nicht in die Situation der Apokalypse gerät, wo man einfach nicht mehr will, kann die konkrete Situation des Eintrettens dieser Fiktion zum absoluten Kollaps führen. Ein Horrorszenario, von dem man bei den Ansprüchen der heutigen Gesellschaft nicht gefeilt ist. Heutzutage genügt es eine gute Ausbildung mit entsprechendem Erfolg zu absolvieren, einen guten Job zu haben, und genug Geld zu verdienen, damit man seine proforma gegründete Familie ernähren kann. Das ist meinem Empfinden nach, das suggerierte Ziel unserer Gesellschaft (vielleicht auch meiner Eletern), das immer mehr durch ökonomische Interessen geprägt wird. Die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke, und wenn's dann mal soweit ist, dass man seinen Job verliert, der Partner sich aus gründen der Rationalität scheiden lässt, oder weil er erkannt hat, dass nie so etwas wie Liebe in dieser Proformafamilie existiert hat, bleibt unter Strich nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt. Es sei denn, man schafft durch Eigeninitiative Ziele außerhalb dieser Bereiche, was aber aus eigener Erfahrung heraus mit enormer Anstrengung und vielen Krisen verbunden ist, und ich kann mir leicht vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die es nicht schaffen, weil es zu schwer ist oder weil die Konfrontation durch die Umwelt ausbleibt. Abhilfe kann ein Paradigmenwechsel zu mehr Humanität schaffen, oder die Kontroverse über Anschauungen und eben Ziele, die wir meines Erachtens nach anstreben sollten, und wie wir sie zum Glück auch schon führen, wenn wir beispielsweise über Selbstmord reden, damit die Hindernisse zu derartiger Lebensführung mehr und mehr abgebaut werden.
Dass die Notwendigkeit zu dieser Auseinandersetzung besteht beweist die Realität, denn man wird schnell für geisteskrank erklärt oder isoliert bei der Äußerung solcher Gedanken, wobei aber andererseits vor fünf Tagen mein Zug nach Kamenz mit 20 minütiger Verspätung ankommt, weil sich auf der Zugtrasse wer das Leben genommen hat, oder wenn ich an der Anschlagtaffel im Foyer des Chemischen Institutes die Todesanzeige eines Mädchens finde, die aus dem Fenster gesprungen ist und zwei Jahrgänge über mir war.
Heute hab ich übrigens „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink zuendegelesen, wo im drittletzten Kapitel die ex KZ-Wärterin und Exgeliebte des Erzählers am Tag ihrer Entlassung aus dem Gefängnis erhängt in ihrer Zelle vorgefunden wird. Beim lesen dieses Satzes überfiel mich ein kaltes Schaudern und eine Gänsehaut, worauf ich vor dem weiterlesen zunächst noch fangen und meine Gedanken sortieren musste. Ein empfehlenswertes Buch das u.a. die Ohnmacht ohne Lebensziele zeichnet unter Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Ein weiteres von mir gelesenes Buch ist „Suizid. Das Trauma der Hinterbliebenen. Erfahrungen und Auswege.“ von Manfred Otzelberger. Ihr könnt euch ja mal die Rezensionen
dazu durchlesen. Besonders erschreckend für mich war dabei, wie oft man sich in den Motiven der Toten wieder findet.
Soweit dann erstmal, und ich glaube du siehst an meinem ausführlichem Kommentar, dass dein Beitrag sehr wohl in den Blog gehört, und zum Gedanken mit der Banalität kann ich nur sagen, dass ich mir ihn bestimmt doppelt so oft mache wie du, und trotzdem poste, auch wenn's der größte Mist ist, denn etwas gutes kann man dem immer abgewinnen.
Dem bleibt nicht viel anzufügen ausser ein Danke für eure ehrlichen Beiträge.
Nur einen Gedanken dazu habe ich noch: Zwar ist es vielleicht mit viel Leid verbunden sich in Abhängigkeit anderer Menschen zu begeben, doch würden wir noch weinen um einen verstorbenen Menschen wenn dem nicht so wär? Würden wir noch lieben können? Hätte unsere Leben einen Wert für die von uns wahrgenommene Welt? Ich denke all diese Fragen verneinen zu müssen. Zum Leben gehört die Leidenschaft. Daran nicht zu zerbrechen weiß aber sicher niemand vorzubeugen.
Kommentar veröffentlichen