Indeterminismus 1: Quantentheorie vertreibt LAPLACEschen Dämon
Klassischer Determinismus in der Wissenschaft und schwache Kritikpunkte
Definition 1:
In einem deterministischen Konzept kann man aus der vollständigen Kenntnis des Zustands eines Systems (Objekte, Koordinaten, Massen, Ladungen) zur Zeit t=0 eindeutig vorhersagen, welche Zustände es zu Zeiten t>0 einnehmen wird.
Viele Theorien enthalten ein solches Konzept, z.B. die NEWTONsche Mechanik, die (EINSTEINsche) spezielle Relativitätstheorie und die MAXWELLsche Elektrodynamik.
Eine mögliche Kritik am Determinismus ist erstmal die Kritik der logischen Bestandteile von Definition 1:
a) Ist es überhaupt möglich, die vollständige Kenntnis über den Zustand eines Systems zur Zeit t=0 zu erlangen?
b) Vorrausgesetzt a) sei erfüllt, kennen wir Gleichungen, die für jedes System gelten?
c) Vorrausgetzt a), b) seien erfüllt, kann man diese Gleichungen überhaupt lösen?
Frage a) kann ich nicht diskutieren, da sie mir zu anspruchsvoll ist.
Frage b): Eine Weltformel kennen wir nicht. Wir kennen aber gewisse Gleichungen für gewisse Arten von Systemen. Der glückliche Umstand dass die Wechselwirkung zweier Systeme mit ihrem Abstand abnimmt erlaubt uns dann ein System der Sorte 1 mit seiner entsprechenden Gleichung zu beschreiben, und diese Beschreibung wird „gut“ sein, solange es nur weit genug von den nicht berücksichtigten Systemen entfernt ist und/oder die Störung der Fremdsysteme klein gegenüber den betrachteten Größen ist. Wenn wir z.B. einen Stein beschreiben wollen, der durch Reibung auf einem gefrorenen See zur Ruhe kommt, können wir den Einfluss der Gravitationskraft durch die Sonne auf den Stein vernachlässigen.
Frage c): Alle bekannten Gleichungen können nur für sehr einfach aufgebaute Systeme gelöst werden, denn sie sind sonst zu kompliziert. Die Schwierigkeit im praktischen Finden dieser Lösung ist aber nur eine schwache Determinimismuskritik, denn sie stellt lediglich einen Mangel unserer Rechentechniken dar. Die eindeutige Vorbestimmtheit des Systems ist schon dadurch gegeben, dass man Gleichungen aufschreiben kann, die eine zeitdeterminierte Struktur haben.
Quantentheorie
Was ist Quantentheorie (QT)? Es ist eine grundlegende Beschreibung der unbelebten Natur. Sie bildet ein neuartiges Beschreibungskonzept, dessen Formalismus Grundlage der meisten modernen Theorien darstellt. Sie ist verifizierbar und verifiziert, verbietet jedoch eine deterministische Weltbeschreibung.
Um das Konzept der QT zu verstehen, muss man den Begriff der Observablen einführen. Eine Observable A ist eine Messgröße (z.B. Ort oder Impuls eines Objektes des Systems). In klassischen Theorien (s. auch Schulphysik) werden Gleichungen aufgeschrieben, in denen die Messgrößen mit ihrem Wert identifiziert werden, d. h. wenn in einer Gleichung x steht, dann hat x irgendeinen Wert, z.B. x=3,7 cm. Die QT hingegen nimmt eine klare Trennung zwischen Observable A und den Messwerten einer Observable vor.
Nun ergeben die Gleichungen der QT im Gegensatz zu klassischen Theorien auch keine Ergebnisse à la x=3,7 cm. Aus vollständiger Kenntnis des Systems zur Zeit t=0 ergeben die Gleichungen der QT für eine beliebige Zeit t>0 bezüglich einer beliebigen Observablen A hingegen folgendes:
i. Eine Menge erlaubter Messwerte a1, a2, a3, a4, ... die zur Zeit t für A gemessen werden können
ii. Eine Menge von Wahrscheinlichkeiten p1, p2, p3, p4, .... dafür den entsprechenden Wert a1, a2, a3, a4, ... zur Zeit t zu messen.
Das ist alles andere als deterministisch. In unserem modernen wissenschaftlichen Weltbild ist jede Beobachtung ein Zufallsexperiment. Dennoch ist es verifizierbar: Wiederholt man das identische Experiment genügend oft und notiert die Ergebnisse, so nähert sich die statistische Verteilung der Messwerte nach dem Gesetz der Großen Zahl den theoretisch vorrausgesagten Wahrscheinlichkeiten p1, p2, p3, p4, ... an.
Die QT konnte eine Vielzahl von rätselhaften Beobachtungen erklären und ist eine in ihrem Gültigkeitsbereich wohlbestätigte Theorie. Gleichzeitig dient ihre indeterministische Struktur als Vorbild für erweiterte Theorien mit größerem Gültigkeitsbereich.
Es gibt einige Wissenschaftler, die die QT akzeptieren, in ihren Mängeln aber lediglich eine Unvollständigkeit sehen („Theorie der versteckten Variablen“). Diese sog. „nicht-Kopenhagener Deutungen“ der QT sind bislang erfolglos. Es gibt kein Konzept, dass die (experimentell bestätigten) Vorhersagen der QT deterministisch liefern kann.
„Unser wissenschaftliches Weltbild“ ist nur deshalb deterministisch, weil es mit der aktuellen Wissenschaft nichts zu tun hat.
5 Kommentare:
Saubere Arbeit und nochmal Danke für die gute Nachvollziehbarkeit.
Kleine Anmerkung:
Der laplacesche Dämon ist eine Gedankenfigur die für einen unbestimmten Zeitpunkt t den Ort und die Richtung aller Teilchen kennt. Dadurch kann er die komplette Zukunft und die komplette Vergangenheit berechnen und würde alles wissen obwohl er nur einen Zeitpunkt kennt.
Lob für deine Ausführung Clem
Hey Clemens,
ich hab den Eindruck, dass wenn du ab und an von Statistik redest, du einen bestimmten Gegenpol zum Determinismus meinst, der bereits ausreicht um so etwas wie den freien willen (idealistisch) zu begründen oder interdeterministisch genug ist (verzeih den unsauberen gebrauch von 'interdeterminismus', denn eigentlich ist statistik interdeterministisch) um das vorhandensein übernatürlicher Regler in unserer Bestimmtheit zu begründen, oder ihnen zumindest Platz lässt. Korrigier mich wenn der Eindruck täuscht.
Ist der Post demzufolge auch eine Reaktion auf mein vorletzten Post "Bei dir Piepts wohl?", um meine Argumentation in punkt'o determinismus etwas einzuweichen?
Der Behauptung mit dem Dämon von Michaw stehe ich übrigends skeptisch gegenüber. Wenn, dann müsste er zumindest zum Zeitpunkt t neben dem Ort noch die Gechwindigkeit der Teilchen kennen, und alle Gesetzmäßigkeiten die die Bewegung der Teilchen vorhersagen müssten streng deterministisch sein. Ort und Impuls (also Geschwindigkeit) sind nach der Heisenbergschen-Unschärferelation aber nicht gleichzeitig messbar, genauso wie Gesetzmäßigkeiten auch interdeterministisch sind, etwa die QT.
hey ändy,
wie ich das sehe hat michau nichts behauptet sondern nur erklärt, was der laplacesche dämon ist. deine bemerkung mit der unschärferelation ist richtig. ich möchte nur darauf hinweisen, dass es mir im geschriebenen um einen viel stärkeren argumentationszweig geht: abgesehen davon, dass man den zustand nicht komplett bestimmen kann, selbst WENN man ihn kennen würde, kann man keine exakten vorhersagen über zukünftige messungen machen.
ow stimmt, tut mir leid michaw, da hab ich wohl was in den falschen hals bekommen
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