Shake your Style.

20.04.2009

Robert Merle

... Endzeitutopien und apokalyptische Untergangsprosa. Gesellschaftsfiktion at it's best, fern ab des üblichen Trivialscifitrash. Der französische Schriftsteller Robert Merle ist leider schon tot und sein Spätwerk scheint mir sowieso nicht sehr interessant. Aber was er bis Mitte der 70er geschrieben hat, gefiel mir ausgesprochen gut und soll hier kurz vorgestellt werden.



Die geschützten Männer (1974) ist ein wilder Mix aus Politthriller, Genderanalyse und Faschismuskonstruktion. Eine Epidemie sucht die Welt heim, vor allem in Nordamerika und Europa mit verheerenden Folgen. Charakteristisch ist das reihenweise Absterben so gut wie sämtlicher zeugungsfähiger Männer. Zu den daraus resultierenden Verwerfungen zählt eine faschistoide Diktatur antisexistischer Frauen. Männer kriegen also endlich richtig auf die Schnauze, das von Merle skizzierte totalitäre Matriarchat kann als geschlechterbezogener Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Realität verstanden werden.


"Gut ist es, das Blut des Bedrückers fließen zu sehen! Dieses Blut fließen zu sehen, ist köstlich! Dieses Blut trinkt die Erde mit großer Freude!" Die Insel (1962) ist ein Abenteuerroman allererster Pessimismusgüte. Merle lässt in diesem grausamen Gedankenexperiment neun englische Meuterer, sechs polynesische Männer und ein Dutzend polynesische Frauen eine fruchtbare Insel irgendwo irgendwann im 18.Jh. besiedeln. Das Buch hat so gut wie gar keine glücklichen Szenen, die beschriebenen Entwicklungen können einmal mehr als bedrückendes Gleichnis menschlicher Idiotie gelten.


Malevil (1972) ist mein Lieblingsbuch in dieser Auswahl. Eine nukleare Katastrophe (über deren Ursprung kein Gedanke verschwendet wird), eine Handvoll Überlebender und los geht's. Hört sich an wie modernes Robinson Crusoe und ist es auch ein wenig, geht aber doch ein Stück weiter (was nicht heißen soll, dass der Defoeklassiker banal wäre). "Von den herabgestürzten Dächern, von Fenstern und Türen war nichts mehr zu sehen. Nur noch geschwärzte Mauerreste standen vor dem Grau des Himmels und da und dort ein Baumstumpf, der wie ein Pfahl aus der Erde ragte [...] und stellenweise sah man nahe am Boden rote Flammen in ununterbrochener Linie sich ausbreiten, mal höher, mal niedriger, als würde ein Schmorfeuer unterhalten." Beklemmend realistisch beschreibt Merle eine verbrannte Welt und die natürlich völlig vergebliche Hoffnung auf einen Neuanfang. Dennoch schaffen es die Menschen weiterzuleben und sich zu organisieren und bei all dem ganzen Schlammassel auch glückliche Momente zu erleben.


Madrapur (1976) sei am besten mit folgendem Zitat beschrieben: "Diesmal ist es soweit. Diesmal ist es soweit. Diesmal ist es soweit. Ich schwitze aus allen Poren, die Zunge klebt mir am Gaumen. Ich kann kein einziges Wort hervorbringen. Das entsetzliche Gefühl der Erschöpfung verschlimmert sich von Minute zu Minute. Mir ist, als entwiche meine ganze Kraft unaufhaltsam durch eine offene Wunde, die nichts und niemand schließen kann. Mein Kopf ist leer. Ich bin mir nicht mehr bewusst, ich selbst zu sein. Ich bin nur noch dieses abstoßende Entsetzen, das mich schüttelt." Ein verdammt merkwürdiges Buch, welches ich wohl irgendwann noch mal lesen muss, verstanden hab' ich's nämlich nicht. Dennoch fand ich die gezeichnete Atmosphäre der in ein endlos lange fliegendes Flugzeug eingesperrten Charaktere und die vor allem durch Dialoge vorangetriebenen Handlungsabsurditäten bemerkenswert mitnehmend. Ein Buch, das schlaucht.


Das letzte von mir gelesene Buch aus dem Merlekanon war Der Tod ist mein Beruf (1957). In diesem autobiographischen Roman schildert Merle den Werdegang eines der größten Arschlöcher der Geschichte, den des Auschwitzer Lagerkommandanten Rudolf Höß. Liest sich wie ein psychologischer Katalog eines völlig aus der Spur gekommenen Lebens in einer völlig aus der Spur gekommenen Zeit und beschreibt chronologisch Höß' Kindheit, die Teilnahme am ersten Weltkrieg und den Freikorps, seine Verlorenheit in den 1920ern und letztlich seinen Aufstieg zum Vertrauten Himmlers und ausführenden Verantwortlichen für über 1,1 Mio. Tote in Auschwitz. Etwa zur Hälfte des Buches fußte meine Sympathie für Höß nicht mehr nur auf Mitleid, spätestens gegen Ende, als ich fieberhaft Anteil hatte, die besten und effektivsten Methoden zur Lösung der Judenfrage zu finden, merkte ich die ganze Schlagkraft dieses Werks. Ich hatte tatsächlich mich dermaßen vereinnahmen lassen, Sympathie für den größtmöglichen jemals dagewesenerAkt menschlicher Monstrosität zu empfinden. "Alles, was er tat, tat er nicht aus Grausamkeit, sondern aus Treue zum Führer, aus Respekt vor dem Staat. Mit einem Wort, als ein Mann der Pflicht. Und gerade darin ist er ein Ungeheuer." (Robert Merle im Nachwort)

3 Kommentare:

clem hat gesagt…

Exquisite Berichterstattung! Wer weiß welche Schätze deines Bücherschranks du uns noch so verheimlicht hast...

mattes hat gesagt…

...hm clemens, mir fielen die vielen schönen steven king-bücher ein...

nun zu georg: feiner beitrag milord...nach deinen persönlichen berichterstattungen nun nochmal ein appetitsanreger mehr in sachen merle. nur werde ich wohl trotzdem erstmal "ein vernunftbegabtes tier" lesen, auch wenn du es recht bald wieder weggelegt hast...aber wenn`s nun schonmal in meinem regal steht...

georg hat gesagt…

ja clemens, du wirst dich noch umschauen. und mattes: viel erfolg, sehr wunderlich geschrieben