Erich Fromm – Haben oder Sein
Warum erfährt unsere Gesellschaft keinen humanistischen Fortschritt?
Haben oder Sein ist zweierlei.
Erstens ein bedeutender Erklärungsansatz zu obiger Frage.
Fromm postuliert zwei konträre menschliche Existenzweisen: Haben und Sein.
Der Haben-orientierte Mensch ist von Besitzgier getrieben und versucht auf Probleme aller Lebensbereiche durch Aneignung zu reagieren. So will er auch Dinge besitzen, die man garnicht besitzen kann (z. B. Liebe, Sicherheit, Gesundheit, Erfolg). Einerseits wird er unglücklich, weil er die uneingeschränkte Befriedigung seiner Wünsche nicht erreicht, andererseits schadet seine „Jagd nach Glück“ anderen.
Eine Beschreibung des Sein-orientierten Menschen ist schwieriger, im Prinzip ist er aber die Negation des Haben-Typus.
Fromm sieht in dem Haben-Typus keinen „natürlichen menschlichen Egoismus“ sondern eine Gesellschaftskrankheit, die mit der steigenden Bedeutung des Privateigentums im Zuge der Industrialisierung geboren wurde und seitdem alle Institutionen durchdringt („Die Schule ist bemüht, jedem Schüler eine bestimmte Menge an Kulturbesitz zu vermitteln, und am Ende seiner Schulzeit wird ihm bescheinigt, daß er zumindest ein Minimum davon hat [...] Als hervorragend gilt jener Schüler, der am genauesten wiederholen kann, was jeder einzelne Philosoph gesagt hat. Er gleicht einem beschlagenen Museumsführer.“).
Gefolgt von einer klaren Analyse beschreibt er, warum und auch wie diese Krankheit geheilt werden soll.
Haben oder Sein ist also zweitens auch eine Utopie.
Eine schöne Utopie. Ehrlich genug, um sich selbst Schwächen einzugestehen. Ehrlich genug um der eigenen Umsetzung Schwierigkeiten einzugestehen. Schön genug um dem kritischen Leser Freude zu machen. Stark genug um seine Gedanken zu bereichern.
Trotz der Schwächen des zweiten Teils ist der erste Teil (Analyse) von wundervoller Klarheit und Schlagkraft. Fromm arbeitet seine Ideen sorgfältig heraus. Eine gewisse Starrheit in seinem Denkmuster und das gelegentliche Auftauchen von untypisch grober Argumentation nimmt seiner Gedankenwelt vielleicht die Perfektion, aber das ist mir egaler als er vielleicht denken mag..
6 Kommentare:
höhrt sich nach einem recht alten buch an.
ich finde es aber eher gefährlich wenn man zwei idealtypen entwirft von denen der eine alle "bösen" und der ander nur "elde" tugenden erhält.
wenn nach fortschritt gefragt wird, sollte man sehr kritisch werden. ich habe dieses wort aus meinem wortschatz verband, da es einen moralischen masstab beinhaltet, den es zu erfüllen gebe wenn man an einen fortschritt glaubt. außerdem geht fortschritt immer nur im eine richtung. ich bevorzuge die worte entwicklung oder wandel, da sie wertneutral sind und im speziellen besser zu erkennen sind. sie besitzen eine höhere begriffsschärfe und verzichten auf moralische beurteilungen.
In den Naturwissenschaften ist das gründliche Studium hochprimitiver Modelle die Grundvorraussetzung zum Verständnis komplexer Systeme. Bipolare Wertsysteme sind daher für mich zwar einfach aber nicht gefährlich sondern absolut notwendig.
Ich habe eine leichte Ahnung, was du sagen willst, aber finde den Punkt noch nicht ganz. Ich finde deine letzten Sätze widersprüchlich. Gerade weil die Begriffe "Wandel"/"Entwicklung" gegenüber "Fortschritt" wertneutral sind und keine klare Richtung besitzen, sind sie meiner Meinung nach gerade schlechter zu erkennen und besitzen eine geringere Begriffsschärfe.
Es ist ja vergleichsweise trivial zu erkennen ob etwas sich in eine vorgegebene Richtung entwickelt (Fortschritt) als zu erkennen, ob es sich im Wandel befindet, weil hier alle möglichen Richtungen miteinbezogen werden müssen, auch solche, deren man sich nicht bewusst ist.
Veränderungen ganz allgeim, im besonderen aber solche, welche die Gesellschaft betreffen, sind tatsächlich, und um Michau mal versuchen klarzustellen, abschließend kaum als eindeutig in dieser oder jener Form zu bewerten und einzuordnen, schließlich existieren nur sehr ungenügend Eingrenzungsmöglichkeiten. Entwicklungen können sich umkehren, Wandel ist mehr als nur gut oder schlecht. Ich habe allerdings kein so großes Problem mit dem Fortschrittsbegriff, er sollte allerdings differenzierter gebraucht werden und die Benutzung von eingrenzenden Termini einschließen.
Da ich Moral und Werte nun als durchaus salonfähige Maßstäbe zur Einordnung und Be-wert-tung von Wandlungsprozessen und Entwicklung (-stendenzen) ansehe, gibt es von mir ein klares Ja zum kritisch wertenden Gesellschaftsbild und, auch auf die Gefahr des vehementen Widerspruchs von Michau, die Empfehlung der Schriften, nicht sämtlicher und ausnahmslos, aber doch ganz allgemein der sog 'Frankfurter Schule'. So geben bspw. Fromms Arbeiter- und Angestelltenerhebungen von 1929/30 die vielleicht aussagekräftigsten empirischen Hinweise zur Beantwortung der Frage, wie die NSDAP in so kurzer Zeit dermaßen viele Stimmen aus allen Schichten der Bevölkerung auf sich vereinen konnte und Adornos Kulturkritik dürfte so manch einem nach wie vor ein 'genauso isses' entlocken.
Ich habe ein so großes Problem mit dem Fortschrittsbegriff nicht, da er doch ein recht transparenter Begriff ist.
Um eine Entwicklung oder Wandlung mit dem Zusatz F zu versehen, muss man EoW zunächst erkennen, EoW ist im Absoluten nicht schlechter zu erkennen als F. Also würde ich erstmal nicht sagen, dass es trivialer ist von F zu reden, als von EoW. Hat man einmal EoW gefunden, mag es leichter sein zu sagen ob es auch F ist, als EoW zu finden, ist aber nicht so wichtig, wie ich finde.
Man steht, bevor man das Wort F auf ein Ereignis anwenden kann, also mehr Hindernissen gegenüber als bei der Anwendung von EoW, was, wie bereits in den obigen Kommentaren gesagt, an der Wertung liegt die hinzukommt. Die der Wertung zugrunde liegenden Anschauungen sind weder Konstant über Generationen, noch gleich innerhalb einer Generation, oder Konstant über die Zeit im Individuum an sich. Die Charakterisierung durch F ist mit viel Subjektivität behaftet. Um mit einem starken F-Begriff arbeiten zu können, müsste man den jetzigen mit einem Anschauungskatalog ergänzen, aus dem erklärt werden kann wie man zu dieser Einschätzung kommt. Hingegen werden sich bei der Beschreibung als EoW intuitiv recht viele darauf einigen können. Was EoW ist ist klarer, weniger Restriktionen unterworfen.
Die Begriffsschärfe ist, falls damit die Eindeutigkeit der Definition gemeint ist(?), bei beiden gleich.
Die Begriffsschärfe ist, falls damit das nicht Zustandekommen von Missverständnissen bei Anwendung des Begriffs gemeint ist, bei EoW größer als bei F.
Ich selbst bin vorsichtig beim Benutzen von F, da F bei nicht-starker Anwendung schnell zu nur warmer Luft verkommen kann. Dennoch ist die Bezeichnung mit F ein wertvolles Werkzeug, das ich mir nicht vorenthalten will. Ich schätze es doch sehr, da es die Art über Dinge zu reden Bereichert, eben das Moralische mit einbezieht, das für mich beim Handeln einen großen Stellenwert einnimmt. Ich finde es gut Handeln diesbezüglich zu reflektieren, was mir F ermöglicht.
Fortschritt lässt sich sicherlich an der ein oder anderen Stelle problemlos aufzeigen, z.B. in der Medizen oder Technik. es ist also der Vergleich von vorher-nacher. wenn man allerdings diese materielle Ebene verlässt und anfängt geistige oder sogar gesellschaftliche Belange/Auffassungen mit "fortschrittlich/nich fortschrttlich" zu etiketieren dann inpliziert das immernoch ein besser oder schlechter als vorher. es ist bei immateriellen dingen allerdings auch denkbar dass es Entwicklungen gibt die quer zum bisherigen Maßstab liegen und sich der Bewertung auf diese Art und Weise entziehen. deshalb würde der Fortschritt seine Bedeutung verlieren bzw sich selbst relativieren. die Gedanken von Menschen sind meiner Auffassung nach vielzu bunt als das ich mir anmaßen könnte sie als fortschrittlich zu kennzeichnen. es gibt andere Werkzeuge um Gedachtes und Gesprochenes zu bewerten.
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