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03.10.2008

Rechtsdrehender Joghurt und Contergan®

Schon bei der Werbespot-Aussage „Mit rechtsdrehenden Joghurtkulturen“ kommt es vielen Leuten recht komisch vor. Ich selbst konnte mir bis zum Zeitpunkt, als uns die Spiegelbildlichkeit als Aspekt der Lebensgrundlage in biologischen Systemen klar gemacht wurde, nicht so recht vorstellen.
Dabei geht es um räumliche Ausrichtungen, die man am einfachsten anhand eines Beispiels erklärt. Ausgehend von einem Punkt begeben sich 4 verschiedene Gegenstände in die voneinander am weitesten entfernten Ecken (also eine Tetraeder).
Wird nun von diesem räumlichen Gebilde ein Spiegelbild erzeugt, so lassen sich die beiden Formen durch ausschließliches Drehen nicht zur Übereinstimmung bringen.



Sicherlich gibt es noch zahlreiche andere Kombinationsmöglichkeiten um so einen Zustand zu erzeugen, jedoch stellt der beschriebene Sachverhalt die Situation von kleinsten biologischen Systemen dar. Einfach gesagt, könnt ihr z.B. nie eure Hände (mal sinnbildlich als Bild und Spiegelbild) zur Deckung bringen.
Diese, wie ich denke, für euch sicher gut nachvollziehbare Grundlage überträgt sich nun auf zahlreiche chemische Substanzen, die, wenn sie die genannten Kriterien erfüllen, als „chiral“ gelten. Chiralität, welche Stoffe völlig gleicher Zusammensetzung in Enantiomere einteilen kann, dient hier als Maß zur Beschreibung der räumlichen Ausrichtung organischer Körper.
So beschreibt zum Beispiel der Begriff Milchsäure nur die Zusammensetzung, gibt aber keine Auskunft über die Gestalt im Raum. Erst die im Folgenden dargestellte Schreibweise definiert die Substanz eindeutig:


(dabei steht das einzelne H jeweils in Richtung des Betrachters)

Im Falle unseres Joghurts geht es also nicht um die Bakterienkultur, sondern um ihr Produkt Milchsäure. So bilden diese speziellen Mikroorganismen im Gegensatz zu denen im üblichen Joghurt, wo etwa gleiche Teile an +/- Milchsäure enthalten sind, mehr rechtsdrehende (+).

Was bringt das nun?
Im dargestellten Fall ist die Bedeutung von eher untergeordneter Wichtigkeit. Der Mensch als Verbraucher kann nur die (+) Milchsäure verarbeiten, weil notwendige Mechanismen im Körper ebenfalls chiral sind. Der andere Teil des Wirkstoffs wird unverändert innerhalb des Darms abtransportiert und besitzt, allerdings erst in größeren Mengen (viel Sauerkraut z. B.), einen durchfallerzeugenden Effekt. Diese zwar unangenehme, aber nicht unbedingt ungesunde Eigenschaft ist nur eine Möglichkeit des Körpers mit dem „Fremdstoff“ umzugehen. Aus meiner Sicht tut man sich nichts Besseres beim Genießen eines vielleicht als modern geltenden Joghurts. Man unterbindet damit eher einen Durchfall und gerade der ist wichtig um auch mal eine natürliche innere Reinigung und Abwehr vor Krankheitserregern zu ermöglichen.

Allerdings wird dabei ein Thema angeschnitten, das heutzutage eine große Bedeutung hat. Sicherlich kennen einige von euch den Fall Contergan®, welcher mit als schwerwiegendster Arzneimittelunfall galt und gilt. Damals, also Anfang der 60er Jahre, kannte noch niemand die Bedeutung von links- und rechtsdrehenden Verbindungen und die in Tests erkannte, gute Wirksamkeit als Schlafmittel brachte neue Hoffnung in der Medizin, die bis dato nur riskantere Arzneimittel kannte. Auch während der täglichen Anwendung blieb die Wirksamkeit, Verträglichkeit und auch Unbedenklichkeit des Patienten gewährleistet.
Bis zu dem Zeitpunkt als man den embryotoxischen (=teratogenen) Effekt bei Schwangeren bemerkte, der, wie man heute weiß, nur vom S(-) - Enantiomer herrührt.



R(+) - Enantiomer : S(-) - Enantiomer


Damals produzierte man nur das Gemisch, wie es bis dahin auch nur üblich war. Selbst die heute noch weit verbreitete Meinung, man hätte selektiv arbeiten müssen und nur das R(+) – Enantiomer synthetisieren sollen, ist zwar logisch, aber ebenso fatal. Der menschliche Organismus ist ja nicht einfach gestrickt und oft zeigen Arzneimittel unvorhersehbare Wirkungen. So erkannte man hier, dass bei reiner Gabe des R(+) – Contergans® ohne große Verzögerung die S(-) – Konfiguration entstand und der Körper sich demzufolge ganz eigenständig vergiftet hätte.
Auch wenn heut zu Tage große Bemühungen über links- und rechtsdrehende Verbindungen durchgeführt werden und oftmals versucht wird diese zu umgehen, ist es wichtig den Stand der Wissenschaft nie zu überschätzen, was an solch typischen Beispielen deutlich wird.

Damit noch nicht genug: Contergan® (Wirkstoff: Thalidomid), nun mittlerweile lang vom Markt verschwunden, wurde auf seine embryotoxische Eigenschaft eindringlich untersucht. Eine Hemmung der Gefäßentwicklung wird für die extreme Nebenwirkung verantwortlich gemacht und dient heute als grundlegender Ansatz zur Bekämpfung von Tumorerkrankungen. Auch wenn dabei die Teratogenität bei Schwangeren erhalten bleibt, steigt die Präsenz des Arzneimittels wieder an. Neuer Name (Revlimid®), neues Anwendungsgebiet und vor allem der ausdrückliche Hinweis auf die Gefahr, geben diesem Stoff eine 2. Chance. Als Ausdruck von Ehrgeiz und auch ein bisschen Wiedergutmachung?!?
Wie auch immer, vorsichtiger ist man mit Sicherheit und die eventuelle Erfolgsgeschichte des „neuen“ Contergans® wird medizinisch gesehen nicht einfacher oder schwieriger ablaufen, als wie bei jedem anderen Arzneimittel.

8 Kommentare:

clem hat gesagt…

Sehr interessanter Beitrag, danke. Nur zum Verständnis: Bei den R(+)/R(-)-Enantiomeren kann ich keine Spiegelachse finden. Muss diese immer existieren oder schließt der Begriff der Chiralität verschiedene Operationen ein?

gilbert hat gesagt…

Freut mich sehr, dass dich der Beitrag anspricht und auch danke der Nachfrage.
Chiralität bedeutet sinngemäß tatsächlich die Spiegelbildlichkeit zweier ansonsten einheitlicher Körper. Wenn du in deiner Frage die beiden Thalidomid- Enantiomer meinst, dann ist es wirklich etwas kompliziert zu erkennen. Beim R(+)Enantiomer ist der rechte Ring durch die getrichelte Linie als nach hinten stehend gekennzeichnet. Das zugehörige
S(-) Enantiomer dagegen muss vom Betrachter erst um 180° gedreht werden, so dass sich beide wie gegenüber stehen. Nun zeigt auch der einzelne Ring der zweiten Formel nach hinten und die Spiegelbildlichkeit ist erkennbar.Außerdem ist noch wichtig, dass das chirale C-Atom (direkt rechts neben dem zentral liegenden N) noch ein frei stehendes H-Atom hat, was üblicherweise nicht mit gekennzeichnet wird.

georg hat gesagt…

nice. hier ein link dazu, hab den film aber noch nicht gesehn: http://www.nobodysperfect-film.de/

clem hat gesagt…

den film sollten wir im auge behalten.

christin hat gesagt…

apropo im auge behalten:
"nobody's perfect" läuft vom 16.-21. oktober im chemnitzer 'weltecho' und ab dem 23.10 im dresdner 'metropolis'

clem hat gesagt…

guter hinweis! die komplette liste für alle anderen städte findet sich übrigens hier auf der seite zum film:

Ändy hat gesagt…

Gilbert, guter Beitrag.

gilbert hat gesagt…

Erfreut mich, wenn ich ein klein wenig Interesse in euch wecken konnte und den Film kenn ich auch noch nicht, Danke!