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07.06.2007

Das RUSSELsche Paradoxon

In der Serie Groovy Paradoxa der Menschheitsgeschichte wird es heute mathematisch, aber ihr dürft die Zinsrechnung und Dreiecksbeziehungen aus der Schulzeit vergessen lassen. Sie werden euch nichts nützen.

Es war im Jahre 1902, ebenfalls im Juni, als das Grundgerüst der Mathematik sich selbst zerstörte. Die (abgesehen von der Aussagenlehre) grundlegendste Definition der Mathematik überhaupt ist die Definition der Menge. Und RUSSEL sollte als erster erkennen, dass es die Menge, so wie sie definiert wurde, nie gegeben hat.

1. Definition der naiven Mengenlehre und Erläuterungen

Definition: Eine Menge ist eine Aufzählung Dingen (Elementen) beliebiger Art; dergestalt, dass nur eine Aussage darüber getroffen werden kann, ob ein Element in der Menge enthalten ist oder nicht.

Man schreibt z. B. M={1,2,3}. M ist die Menge und sie enthält die Elemente 1,2,3.

Bemerkungen:
1.)
Der hintere Teil der Defintion bedeutet weiterhin, dass die Reihenfolge der Aufzählung keine Eigenschaft der Menge ist, sondern nur durch ihr Aufschreiben entsteht. Es ist also {1,2,3}={3,1,2}. Weiter bedeutet er auch, dass das mehrfache Vorkommen (eine Art Häufigkeit) eines Elements nichtssagend ist. Es ist also {1,2,3,3}={1,2,3}.
2.) Mengen können beliebige Elemente enthalten.
3.) Mengen können unendlich viele Elemente enthalten und enthalten dennoch nicht jedes, z. B. die natürlichen Zahlen (die Schule lässt grüßen).
4.) Bedeutend ist die Definition des Elements. Man sagt 1 ist Element von {1,2,3} oder kurz 1 in M. Eine genauere Vorstellung vom Elementbegriff erhalten wir, wenn wir 2.) betrachten. Demnach kann eine Menge also auch Mengen enthalten. Diese sind dann Elemente der Menge, z. B. M={{1,2,3},{4,5}}. Wichtig ist, die Struktur der Menge-Element-Beziehung zu erkennen. Wir schreiben die Elemente in die {}-Klammer und trennen sie mit Kommas. Demnach ist {1,2,3} in {{1,2,3},{4,5}}, aber es ist nicht 1 in {{1,2,3},{4,5}}. 1 ist kein Element. Es ist in {1,2,3}, aber es ist nicht in {{1,2,3},{4,5}}.
5.) Die leere Menge ist {} und enthält nichts.

2. Das RUSSELsche Paradoxon

Frage:
(F1) Gibt es Mengen, die sich Selbst enthalten?

Wir konstruieren aus dieser Frage zwei Mengen:

E = Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten.
E' = Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten.

Gegen einen Versuch, sich die Bedeutung dieser zwei Zeilen einmal vorzustellen ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging ein Toilettenbesuch.

Aber diese Vorstellung ist nicht unbedingt nötig. Wir müssen nur bedenken, dass Mengen ihrerseits wieder Elemente von Mengen sei können (siehe 4.) ) und alles weitere ist nur eine formale Aufteilung aller Objekte der Sorte Menge nach der Eigenschaft sich selbst enthalten in zwei Gruppen, die durch die Mengen E,E' repräsentiert werden.

Jetzt gehts los.

Wir betrachten im folgenden nur E' (lieber nochmal oben nachlesen, was E' ist).

Wir fragen nun:
Enthält E' sich selbst?

Vorstellen macht Kopfschmerzen, argumentieren bringt mehr. Also diskutieren wir einfach beide Fälle:

Fall 1: Angenommen E' enthält sich selbst. Eine Menge die sich selbst enthält darf nicht in E' sein (, denn in E' sind genau die Mengen, die sich nicht selbst enthalten.) Das gilt auch für die Menge E'. Daraus folgt: E' enthält sich nicht selbst.

Fall 2: Angenommen E' enthält sich nicht selbst. Eine Menge die sich nicht selbst enthält muss in E' sein (, denn in E' sind genau die Mengen, die sich nicht selbst enthalten.) Das gilt auch für die Menge E'. Daraus folgt: E' enthält sich selbst.

Zusammengefasst:
Falls E' in E' dann E' nicht in E'.
Falls E' nicht in E' dann E' in E'.

Beide Fälle führen zu einem Widerspruch. Da aber keine weiteren Fälle möglich sind, erhalten wir einen Widerspruch der weit über die merkwürdige Frage (F1) hinausgeht. Wir haben durch die Konstruktion gewisser Mengen die Sinnfreiheit der Definition der Menge an sich gezeigt. Es konnte nämlich nicht gesagt werden, ob ein bestimmtes Element zur Menge gehört oder nicht.

So unangenehm es ihnen auch war, es schien, daß die Mathematiker Ballast abwerfen und die Annahme aufgeben mussten, dass es zu jeder beliebigen Eigenschaft P eine zugehörige Menge gibt, nämlich die Menge aller derjenigen Objekte, die die Eigenschaft P haben.

(Keith Devlin, Muster der Mathematik, 2002)

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