Shake your Style.

17.01.2008

Beim Lesen der Zeitung

"Wo ist die freie Meinungsbildung geblieben? Und ich steh auf nach einer schönen Nacht und les die Morgenzeitung um wieder von Wolke 7 auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen [...] Der zentrale Beobachter beobachtet die Ermittlungsstufen der medialen Präsentation - und was kann er tun? Nichts, nur fallen" (Audio 88)

Obwohl nach dem gestrigen Abend noch recht verschlafen und mit zugeklebten Äugeleins, startete ich heut Morgen sehr frohgemut und gut gelaunt in den Tag. Dem obligatorischen Gesichtswaschprozedere folgte der morgendliche Gang zum Briefkasten um das Frühstück mit der Lektüre aktueller Vorgänge aus der großen weiten Welt zu beginnen. Ein Einblick:

Einem ersten Titelseiteneinblick treppaufwärts in Richtung meiner offenstehenden Wohnungstür folgte Ernüchterung Nummer 1. Das Titelbild einer weinenden, streikenden Nokia-Mitarbeiterin wurde dreist in den Schatten gestellt von dieser Überschrift im Mittelteil der Titelseite: "Spion auf dem Schreibtisch - Microsoft plant Computer, die Arbeitnehmer überwachen". Ich begann zu lesen, mit dem Resultat drastisch sinkender Zufriedenheit und dramatisch steigender Wut. "Schließlich wollen die Microsoft-Erfinder medizinische Sensoren und Kameras an den Rechner koppeln. [...] Dem letzten der patenrechtlichen Ansprüche zufolge kann das System die Arbeit verschiedener Benutzer bewerten und vergleichen. Aus den Hirnströmen [...] wollen die Software-Entwickler ablesen, ob jemand überrascht, befriedigt, frustriert, konzentriert oder überfordert ist. [...] Tatsächlich könnten Arbeitgeber in Deutschland ihre Mitarbeiter verpflichten, medizinische Sensoren zu tragen."

Auf's extremste abgetörnt, versuchte ich das Frühstück mit dem Sportteil zu retten. Ernüchterung Nummer 2: Ein überdimensioniertes Bild von eklig aussehenden Blutprobenbeutelchens ("Ein Netzwerk nimmt Konturen an") leitete einen selbst für mich als hartgesottenen Sportfan vollkommen unlesenswerten Zeitungspart ein. Besonderes Highlight: "Oliver Kahn nähert sich entspannt dem Ruhestand - doch ein Stachel sitzt tief". Also zurück zum Hauptteil, den ich wie immer von hinten startete durchzuforsten.

Der wie gewöhnlich klatschpresseartige Panoramateil wartete mit einer Story zum Tathergang der Schussattacke auf den Rapper "Massiv" in Berlin auf, die ich aber nicht las. Einziger Lichtblick: Ein kleiner 50 Worte Artikel mit der Überschrift " Kinder hassen Clowns". Weiter ging's von Seite 10 auf 9, mit, Ernüchterung Nummer ich zähl nicht mehr mit, penetrant schmierigen Bildern von der "Nacht der süddeutschen Zeitung" mit solch prominenten Gästen wie Angela Merkel, so ziemlich allen deutschen Bundesministern (natürlich in trauter Eintracht) und 'ner ganzen Menge Ekelprominenz. Ab Seite 8 nicht mehr nur angewiderte Empörung, sondern tiefe Frustration und Hoffnungslosigkeit. "Blutiges Ende eines Waffenstillstandes" (Sri Lanka), "Europa als Drehscheibe des Terrors" (laut US-Heimatschutz), "Schüsse in Nairobi", "Die Last des Putin-Gegners", "Rechtsruck in Spaniens Volkspartei" und schließlich "Lauschangriff auf Pfarrer und Imame - Innenminister Schäuble will künftig auch Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger abhören" auf Seite 5. Die Überschriften hielten sämtlich ihr Versprechen, die Leserbriefe auf Seite 4 überging ich einmal gekonnt, um auf den beiden Hauptseiten 3 und 2 nichts großartig interessantes mehr zu finden (außer vielleicht eine lesenswerte Darstellung des Nokia-Rückzuges aus Deutschland).

Als Fazit muss ich ziehen, heute keinesfalls überdurchschnittlich viele haarsträubende Artikel zu Gesicht bekommen zu haben, und auch viele Themen waren mir wie es meistens ist, relativ präsent. Allerdings hat's mich heute mal wieder sehr mitgenommen und mir förmlich den Morgen versaut, deshalb dieser Kommentar zu den Tücken morgendlicher Zeitungslektüre und den Gefahren, zu viel zu nah an sich heranzulassen. Wobei mir wohl auch in Zukunft nichts anderes übrig bleiben wird, will ich weiterhin am Weltgeschehen teilhaben.

3 Kommentare:

Ändy hat gesagt…

Ich finde du beschreibst ganz gut wie man alltäglich! mit der Welt konfrontiert wird, und deine Reaktionen zeigen was das für Folgen haben kann. Das Dilemma ist, dass eben die Folgen meist negativer Natur sind und wir sie so nah an uns heran lassen. Das verleit unserem Seelenleben eine besondere Charakteristik mit welcher erst umzugehen erlernt werden muss. Dein Beitrag ist im zuge dessen sicher auch schon ein Bewältigungsansatz, und gerade deshalb gefällt er mir, weil er zeigt wie du bist. Geil'o.

michael matschie hat gesagt…

passt nicht ganz, aber ich würde mich freuen wenn es in deutschland endlich wieder eine Abentzeitung gibt. eine Zeitung die abends sagen wir um 6uhr erscheint mit den Meldungen was an diesem Tag in der Welt geschehen ist. dann würden auch viele mal den Fernseher ausschalten, hoffe ich.

Ändy hat gesagt…

Es gibt doch schon ne Abendzeitung, und zwar die "Serbske Nowiny!" Wer eine lesen will, soltte also sorbisch lernen.